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„Die Stadt ohne
Juden“ – der Fall Bettauer
Ein lang verschollen geglaubter Film wird
am 25. Juli im Grazer Landhaushof bei „Classics in the City“ gezeigt.
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Hugo Bettauer (1872-1925) |
Als am 10. März 1925 in der Wiener Langegasse 7 Otto Rothstock
den
Herausgeber, Journalisten und Autor Hugo Bettauer niederschoss,
rechtfertigten christlichsoziale und deutschnationale Zeitungen die „Befreiungstat“
des „braven, häuslichen, sparsamen und sittenreinen Attentäters“,
der in „ehrlicher sittlicher Empörung sich bei der Wahl der Mittel
vergriffen“, aber eben doch nur ein „Volksurteil“ vollstreckt habe. „Wenn
irgend jemand, so hat er durch diese Gesetzestreue, die zugleich eine Tat
praktischer Jugendfürsorge war, das Ehrenzeichen der Republik verdient.“
Während jene, die diesen Mordanschlag begrüßten, in
Hugo Bettauer den jüdischen roten Parteidichter und gewerbsmäßigen
Pornographen sahen, den etwa die „Deutsche Arbeiter Presse“ am 21. Februar
1925 so charakterisierte: „Bettauer, sus silvaticus, skrofuloses Wildschwein
oder gemeine Sau, wühlt in Sumpf und Jauche, nährt sich von faulem
Weiberfleisch und anderen moralischen Abfallsprodukten, verbreitet pestilenten
Gestank – daher auszurotten“, sahen die anderen in ihm den Diener der Aufklärer,
den Apostel der neuen Moral und Kämpfer für die Emanzipation.
Journalist, Aufdecker, Kabarettist
Hugo Bettauer wurde 1872 in Baden bei Wien geboren, besuchte in Wien
die Schule, ehe er von zu Hause ausriss und sich bis Nordafrika durchschlug.
Aufgegriffen und nach Wien abgeschoben meldete er sich wenig später
freiwillig zum Militär, um kurz darauf zu desertieren und im Alter
von 18 Jahren in die USA zu fliehen. Dort erhielt er die amerikanische
Staatsbürgerschaft, doch kehrte er um die Jahrhundertwende wieder
nach Europa zurück, vorerst nach Berlin. Von dort wurde er – er war
als Journalist bei der Aufdeckung mehrerer Skandale in der dortigen Beamtenschaft
und Polizei führend beteiligt – bald als unerwünschter Ausländer
ausgewiesen. Bettauer ging daraufhin nach München, wo er einige Zeit
als einer der „Elf Scharfrichter“ beim berühmten Kabarett gleichen
Namens mitwirkte, ehe er 1904 wieder in die USA zurückkehrte und als
Reporter und Schriftsteller tätig wurde.
Ein prophetisches Werk ...
Auf Grund einer Amnestie des Kaisers kehrte er 1910 nach Österreich
zurück, vorerst nach Graz – „wo die Welt zu Ende war“. In der Folge
arbeitete er in Wien für verschiedene Zeitungen und veröffentlichte
in den Jahren 1920 bis 1924 insgesamt 20 Romane, von denen einige – wie
etwa „Die freudlose Gasse“ mit Greta Garbo – auch verfilmt wurden. Sein
meistgelesener Roman „Die Stadt ohne Juden. Ein Roman von übermorgen“
erschien 1922 und erreichte eine Auflage von über 250.000 Stück.
In ihm ließ Bettauer den Bundeskanzler „Schwertfeger“, der die
Züge Ignaz Seipels trägt, alle Juden und „Judenstämmlinge“
sukzessive unter Sonderrecht stellen und schließlich ausweisen. Als
sich die wirtschaftlichen und kulturellen Folgen für die Stadt, gemeint
ist Wien, zeigen, muss diese antisemitische Maßnahme wieder rückgängig
gemacht werden. Dieser „Roman von übermorgen“, wie der Untertitel
prophetisch lautete, war jedoch nicht nur eine Vorausahnung der Untaten
der Nationalsozialisten. Er war vielmehr als satirische Antwort auf den
primitiven und salonfähigen Antisemitismus Anfang der 20er Jahre gedacht,
der u.a. auch vom christlichen Gewerkschafter Leopold Kunschak getragen
wurde.
Im Jahr 1924 wurde der Roman in einer um die innenpolitischen Konflikte
entschärften Version von Hans Karl Breslauer mit Hans Moser verfilmt.
Die Premiere erfolgte in Wien am 25. Juli 1924. Die Aufführungen waren
zum Teil von Krawallen begleitet: Nationalsozialisten warfen Stinkbomben
in die Kinosäle. In Linz wurde die Aufführung gar verboten.
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Der judenfeindliche Rat Bernart (Hans Moser
in seiner ersten Filmrolle) landet im Irrenhaus, als er erfährt, dass
die Juden wieder zurückkehren dürfen (Österr. Filmarchiv,
Stadt ohne Juden)
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Hetzkampagne
Diese „Anti-Bettauer“-Stimmung des Jahres 1924, die im März 1925
mit seiner Ermordung endete, hatte ihren Grund auch darin, dass Hugo Bettauer
eine Zeitschrift „Er und Sie. Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik“
herausgab, die nach dem baldigen Verbot als „Bettauers Wochenschrift“ fortgeführt
wurde. Darin fand sich eine Mischung aus erotischen Erzählungen, sexualwissenschaftlichen
und sozialpolitischen Artikeln, in denen Bettauer etwa gegen die sexuelle
Heuchelei zu Felde zog und mehr Rechte für Frauen forderte. Wochen
hindurch wurde 1924 im Wiener Gemeinderat und den Tageszeitungen eine Stimmung
erzeugt, die Bettauer zu einer Art sexuellen Dämons stilisierte, zum
„Mörder von Tausenden zarter Jugendseelen“. Rufe nach „Lynchjustiz
gegen den Schänder unseres Volkes“ wurden immer lauter, bis am 10.
März 1925 der junge Wiener Nationalsozialist Otto Rothstock zur Tat
schritt. Rothstock habe, wie er selbst angab, beschlossen, Bettauer „zum
Schutze seiner Volks- und Altersgenossen aus dieser Welt in eine andere
zu drängen.“
Der Mörder als Held
Während Bettauer wenige Tage nach dem Mordanschlag starb, wurde
Rothstock als Held gefeiert. Der Prozess gegen Rothstock im Herbst wurde
zu einem Verfahren gegen den Ermordeten. Obwohl schuldig gesprochen, wurde
Rathstock nach „Steinhof“ eingewiesen, von wo er nach nur eineinhalb Jahren
als freier, „geheilter“ und wohlhabender Mensch entlassen wurde, da sein
Rechtsanwalt, der Gründer der NSDAP in Wien, Walter Riehl, für
ihn eine Spendesammlung organisiert hatte. Auf Grund seiner Verdienste
konnte er später innerhalb nationalsozialistischer Organisationen
Karriere machen.
Der Film „Die Stadt ohne Juden“ erlebte 1926 und 1928 noch in Berlin
und New York eine Premiere, doch gelang es dem Film weder in Österreich
noch im Ausland, den Erfolg des Buches zu wiederholen.
Erstmals in Graz
Einmal noch sollte der Film öffentlich für Aufsehen sorgen.
Im Jahr 1933 wurde er im Amsterdamer Theater Carré, wie die zeitgenössische
Presse vermerkte, als „ein stummer Film, der für sich selbst spricht“,
als Zeichen gegen Hitlerdeutschland gezeigt. Diese Kopie des Filmes ist
vermutlich auch jene, die 1991 im Nederlands Filmmuseum entdeckt und im
Auftrag des Filmarchivs Austria von dem Grazer Unternehmen HS-Art Digital
Service mit der bei Joanneum Research entwickelten Software „Limelight“
restauriert wurde.
Genau 77 Jahre nach der Wiener Premiere des Filmes (25. Juli 1924)
wird der Film nun erstmals in Graz im Rahmen von „classics in the city“
gezeigt. Die musikalische Begleitung des Filmes kommt von Gerhard Gruber,
Adula Ibn Quadr und Peter Rosmanith.
Heimo Halbrainer
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