07 / 2001
  „Die Stadt ohne Juden“ – der Fall Bettauer

Ein lang verschollen geglaubter Film wird am 25. Juli im Grazer Landhaushof bei „Classics in the City“ gezeigt.
 
Hugo Bettauer (1872-1925)

Als am 10. März 1925 in der Wiener Langegasse 7 Otto Rothstock den Herausgeber, Journalisten und Autor Hugo Bettauer niederschoss, rechtfertigten christlichsoziale und deutschnationale Zeitungen die „Befreiungstat“ des „braven, häuslichen, sparsamen und sittenreinen Attentäters“, der in „ehrlicher sittlicher Empörung sich bei der Wahl der Mittel vergriffen“, aber eben doch nur ein „Volksurteil“ vollstreckt habe. „Wenn irgend jemand, so hat er durch diese Gesetzestreue, die zugleich eine Tat praktischer Jugendfürsorge war, das Ehrenzeichen der Republik verdient.“ 
Während jene, die diesen Mordanschlag begrüßten, in Hugo Bettauer den jüdischen roten Parteidichter und gewerbsmäßigen Pornographen sahen, den etwa die „Deutsche Arbeiter Presse“ am 21. Februar 1925 so charakterisierte: „Bettauer, sus silvaticus, skrofuloses Wildschwein oder gemeine Sau, wühlt in Sumpf und Jauche, nährt sich von faulem Weiberfleisch und anderen moralischen Abfallsprodukten, verbreitet pestilenten Gestank – daher auszurotten“, sahen die anderen in ihm den Diener der Aufklärer, den Apostel der neuen Moral und Kämpfer für die Emanzipation.

Journalist, Aufdecker, Kabarettist
Hugo Bettauer wurde 1872 in Baden bei Wien geboren, besuchte in Wien die Schule, ehe er von zu Hause ausriss und sich bis Nordafrika durchschlug. Aufgegriffen und nach Wien abgeschoben meldete er sich wenig später freiwillig zum Militär, um kurz darauf zu desertieren und im Alter von 18 Jahren in die USA zu fliehen. Dort erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft, doch kehrte er um die Jahrhundertwende wieder nach Europa zurück, vorerst nach Berlin. Von dort wurde er – er war als Journalist bei der Aufdeckung mehrerer Skandale in der dortigen Beamtenschaft und Polizei führend beteiligt – bald als unerwünschter Ausländer ausgewiesen. Bettauer ging daraufhin nach München, wo er einige Zeit als einer der „Elf Scharfrichter“ beim berühmten Kabarett gleichen Namens mitwirkte, ehe er 1904 wieder in die USA zurückkehrte und als Reporter und Schriftsteller tätig wurde.

Ein prophetisches Werk ...
Auf Grund einer Amnestie des Kaisers kehrte er 1910 nach Österreich zurück, vorerst nach Graz – „wo die Welt zu Ende war“. In der Folge arbeitete er in Wien für verschiedene Zeitungen und veröffentlichte in den Jahren 1920 bis 1924 insgesamt 20 Romane, von denen einige – wie etwa „Die freudlose Gasse“ mit Greta Garbo – auch verfilmt wurden. Sein meistgelesener Roman „Die Stadt ohne Juden. Ein Roman von übermorgen“ erschien 1922 und erreichte eine Auflage von über 250.000 Stück. 
In ihm ließ Bettauer den Bundeskanzler „Schwertfeger“, der die Züge Ignaz Seipels trägt, alle Juden und „Judenstämmlinge“ sukzessive unter Sonderrecht stellen und schließlich ausweisen. Als sich die wirtschaftlichen und kulturellen Folgen für die Stadt, gemeint ist Wien, zeigen, muss diese antisemitische Maßnahme wieder rückgängig gemacht werden. Dieser „Roman von übermorgen“, wie der Untertitel prophetisch lautete, war jedoch nicht nur eine Vorausahnung der Untaten der Nationalsozialisten. Er war vielmehr als satirische Antwort auf den primitiven und salonfähigen Antisemitismus Anfang der 20er Jahre gedacht, der u.a. auch vom christlichen Gewerkschafter Leopold Kunschak getragen wurde. 
Im Jahr 1924 wurde der Roman in einer um die innenpolitischen Konflikte entschärften Version von Hans Karl Breslauer mit Hans Moser verfilmt. Die Premiere erfolgte in Wien am 25. Juli 1924. Die Aufführungen waren zum Teil von Krawallen begleitet: Nationalsozialisten warfen Stinkbomben in die Kinosäle. In Linz wurde die Aufführung gar verboten.
 

Der judenfeindliche Rat Bernart (Hans Moser in seiner ersten Filmrolle) landet im Irrenhaus, als er erfährt, dass die Juden wieder zurückkehren dürfen (Österr. Filmarchiv, Stadt ohne Juden)
 

Hetzkampagne
Diese „Anti-Bettauer“-Stimmung des Jahres 1924, die im März 1925 mit seiner Ermordung endete, hatte ihren Grund auch darin, dass Hugo Bettauer eine Zeitschrift „Er und Sie. Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik“ herausgab, die nach dem baldigen Verbot als „Bettauers Wochenschrift“ fortgeführt wurde. Darin fand sich eine Mischung aus erotischen Erzählungen, sexualwissenschaftlichen und sozialpolitischen Artikeln, in denen Bettauer etwa gegen die sexuelle Heuchelei zu Felde zog und mehr Rechte für Frauen forderte. Wochen hindurch wurde 1924 im Wiener Gemeinderat und den Tageszeitungen eine Stimmung erzeugt, die Bettauer zu einer Art sexuellen Dämons stilisierte, zum „Mörder von Tausenden zarter Jugendseelen“. Rufe nach „Lynchjustiz gegen den Schänder unseres Volkes“ wurden immer lauter, bis am 10. März 1925 der junge Wiener Nationalsozialist Otto Rothstock zur Tat schritt. Rothstock habe, wie er selbst angab, beschlossen, Bettauer „zum Schutze seiner Volks- und Altersgenossen aus dieser Welt in eine andere zu drängen.“

Der Mörder als Held
Während Bettauer wenige Tage nach dem Mordanschlag starb, wurde Rothstock als Held gefeiert. Der Prozess gegen Rothstock im Herbst wurde zu einem Verfahren gegen den Ermordeten. Obwohl schuldig gesprochen, wurde Rathstock nach „Steinhof“ eingewiesen, von wo er nach nur eineinhalb Jahren als freier, „geheilter“ und wohlhabender Mensch entlassen wurde, da sein Rechtsanwalt, der Gründer der NSDAP in Wien, Walter Riehl, für ihn eine Spendesammlung organisiert hatte. Auf Grund seiner Verdienste konnte er später innerhalb nationalsozialistischer Organisationen Karriere machen.
Der Film „Die Stadt ohne Juden“ erlebte 1926 und 1928 noch in Berlin und New York eine Premiere, doch gelang es dem Film weder in Österreich noch im Ausland, den Erfolg des Buches zu wiederholen.

Erstmals in Graz
Einmal noch sollte der Film öffentlich für Aufsehen sorgen. Im Jahr 1933 wurde er im Amsterdamer Theater Carré, wie die zeitgenössische Presse vermerkte, als „ein stummer Film, der für sich selbst spricht“, als Zeichen gegen Hitlerdeutschland gezeigt. Diese Kopie des Filmes ist vermutlich auch jene, die 1991 im Nederlands Filmmuseum entdeckt und im Auftrag des Filmarchivs Austria von dem Grazer Unternehmen HS-Art Digital Service mit der bei Joanneum Research entwickelten Software „Limelight“ restauriert wurde.
Genau 77 Jahre nach der Wiener Premiere des Filmes (25. Juli 1924) wird der Film nun erstmals in Graz im Rahmen von „classics in the city“ gezeigt. Die musikalische Begleitung des Filmes kommt von Gerhard Gruber, Adula Ibn Quadr und Peter Rosmanith. 

Heimo Halbrainer

 
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