04 / 2000
  Als Arbeitssklaven in der Steiermark

Sie kamen aus Russland, der Ukraine und anderen osteuropäischen Ländern. Als Slawen waren sie nach NS-Diktion Angehörige minderwertiger Rassen. Dennoch, je mehr Soldaten des Deutschen Reiches an den Kriegsschauplätzen kämpften, um so größer wurde der Mangel an Arbeitskräften an der Heimatfront. Um diesen auszugleichen, beschloss man ab 1942 die zwangsweise Rekrutierung von rund 5 Millionen ZivilistInnen als „OstarbeiterInnen“. Auch in der Steiermark wurden über 40.000 dieser ZwangsarbeiterInnen aus der damaligen Sowjetunion in Industriebetrieben und der Landwirtschaft zur Arbeit gezwungen. Erst in jüngster Zeit beginnt sich auch Österreich mit diesem verdrängten Kapitel seiner Geschichte näher zu befassen und die Bundesregierung plant noch für heuer die Auszahlung erster Entschädigungsgelder.

Nachdem Versuche, Freiwillige für den Arbeitseinsatz im Deutschen Reich anzuwerben, erfolglos blieben, ging man dazu über, Zivilisten zwangsweise zu rekrutieren. Fritz Sauckel, Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz, erklärte 1942: „Ich werde die Millionen „Ostarbeiter“ nach Deutschland holen, ohne Rücksicht auf ihre Gefühle, ob sie wollen oder nicht.“

Verschleppt in die Steiermark
Dafür wurden ganze Jahrgänge vor allem Jugendlicher erfasst. Zwischen der schriftlichen Verständigung zum Arbeitseinsatz und dem Abtransport verstrichen oft nur wenige Tage. Wer nicht freiwillig kam, wurde mit Waffengewalt zu Hause abgeholt. Der 17-jährige Ivan Stavickij wurde am Morgen des 22. Oktober 1942 in seinem Heimatdorf in der Ukraine zu Hause festgenommen und in ein Lager in Perejaslav gebracht; von dort ging es dann in Viehwaggons in die „Ostmark“; über drei Wochen lang dauerte die Fahrt.
Galina Žganjar, Jg. 1925, aus Novoèerkassk am Don, die als „Ostarbeiterin“ bei Lapp-Finze in Kalsdorf arbeitete, wo sie heute noch lebt, schildert im Gespräch mit KORSO die Umstände, unter denen sich der Sklaventransport vollzog: „Wir wurden in Viehwaggons transportiert. Erste Station war in der Nacht in Polen. Dort haben wir uns gewaschen. Wir mussten uns dabei beeilen, sonst setzte es Schläge mit einem Knüppel auf den Kopf.“ In den Waggons waren so viele Menschen zusammengepfercht, dass kaum Platz zum Schlafen vorhanden war.

Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine in Voitsberg

„Wir arbeiteten durchnässt bis zum Morgen“
Kaum angekommen wurden die Verschleppten auf die einzelnen Betriebe und Bauernhöfe aufgeteilt. Die in der Industrie Tätigen wurden in bewachten Lagern neben den Fabriksanlagen eingesperrt, während die ZwangsarbeiterInnen in der Landwirtschaft bei den Bauern untergebracht waren. Zur äußerlichen Diskriminierung mussten die „OstarbeiterInnen“ ein blaues Abzeichen mit der Beschriftung „OST“ tragen.
Die Arbeitsbedingungen in der Fabrik, in der Galina Žganjar ab November 1942 mit 60 anderen „OstarbeiterInnen“ eingesetzt war, waren unmenschlich. Als Žganjars Handfläche durch die harte Arbeit zur Gänze von einer Blase bedeckt war, „hat der Meister einen Bleistift genommen, die Blase damit durchgestochen und gesagt: „Geh arbeiten!“ Dann musste ich wieder zur selben Maschine zurück.“ Das Verhältnis zu den einheimischen ArbeiterInnen beschreibt Žganjar hingegen als grundsätzlich positiv – obwohl sie offiziell nicht mit ihr sprechen durften.
Der Alltag in der Pölser Papierfabrik war ähnlich hart, berichtet Stefanija Kalynèuk aus Psenièniki in der Ukraine, heute 73 Jahre alt: „Wenn jemand bei der Nachtschicht einschlief, wurde er mit kaltem Wasser aus einem Schlauch angespritzt. Dann arbeiteten wir durchnässt bis zum Morgen.“

Anton Zaliskij wurde als 15-Jähriger nach Knittelfeld verschleppt, musste nach der Befreiung sechs Jahre in der Roten Armee dienen und fand dann 1951 in der Sowjetunion längere Zeit keine Arbeit, weil er „für Hitler gearbeitet hatte.“ (Anton Zaliskij 1943 und 1997)

„Sie schlugen mich dafür, dass ich für sie arbeitete“
Die Ansicht, dass es im Gegensatz dazu den zur Landarbeit gezwungenen „OstarbeiterInnen“ generell besser ergangen sei, kann Peter Ruggenthaler, Mitarbeiter des Grazer Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung (Leitung: Univ.-Prof. Dr. Stefan Karner) nicht bestätigen. „Es kam immer auf die individuelle Situation am Bauernhof und auf die Zivilcourage des Bauern an“. In seiner Diplomarbeit „Ein Geschenk für den Führer“ hat sich Ruggenthaler ausführlich mit der Situation der ZwangsarbeiterInnen in der Steiermark und in Kärnten beschäftigt. Aus seinen Dutzenden Interviews mit ehemaligen „OstarbeiterInnen“ ergibt sich ein düsteres Bild der Arbeits- und Lebensbedingungen, -denen die in der steirischen Landwirtschaft eingesetzten Jugendlichen unterworfen waren: So erzählt die Ukrainerin Marija Antonovna Il’èuk aus Zivanovo, die nach Judenburg verschleppt wurde: „Der Bauer war sehr böse und hat mich schwer geschlagen … hauptsächlich ins Gesicht und auf den Kopf … auch seine Frau, der Vater und die Mutter.“ Verbittert meint sie: „Sie schlugen mich dafür, dass ich für sie arbeitete“. Manche der Jugendlichen – wie etwa der damals nicht einmal 16-jährige Michail Kwas, der am 17. Juni 1942 nach Obdachegg verschleppt worden war, wurden von ihren Sklavenhaltern sogar ausgepeitscht.
Zur Aufteilung der einzelnen ZwangsarbeiterInnen auf die Landwirtschaften wurden regelrechte Sklavenmärkte veranstaltet. Nadežda Petrovna Kondrat’eva, die 1942 in die Steiermark verschleppt wurde, berichtet von einem solchen „Markt“ in Judenburg: „Dorthin kamen Bauern aus der Umgebung und suchten sich Arbeiter aus. Wenn jemand einem gefallen hat, wurde ihm ein Schildchen mit dem Namen des Bauern um den Hals gehängt und diese Person wurde dann von niemandem mehr angerührt.“
Manche ZwangsarbeiterInnen hatten allerdings Glück: Sie kamen zu Bauern, die sich bemühten, ihre Lage erträglicher zu gestalten. So erlaubte etwa der Bauer Ludwig Laitner aus Hohentauern – gegen die Anordnungen der Nazi-Behörden – der damals 20-jährigen Marija Nauchackaja aus Gromovo in der Ukraine, jeden Sonntag ihre Landsfrau und Freundin Nadežda zu besuchen, die bei einem Nachbarn arbeitete.

Galina ZÜganjar:
Auch nach 1945 Beschimpfungen ausgesetzt

„Dreckige Russen“ – auch nach dem Krieg
Je näher gegen Kriegsende die Front rückte, um so mehr wurden steirische „OstarbeiterInnen“ auch im Stellungsbau eingesetzt. Auf Flucht stand der Tod. Anton Zaliskij aus Kryvih Rih, der nach Knittelfeld verschleppt worden war, entging nur knapp der Exekution. Beim Stellungsbau in der Untersteiermark waren fünf seiner Freunde aus dem Lager geflohen. „Am Morgen danach stellten sie alle in Reih und Glied auf. Gegenüber standen die Deutschen mit automatischen Waffen. Im nächsten Moment fingen sie an loszuschießen. Die rechts und links von mir Stehenden fielen um.“
Mit dem Einmarsch der russischen Truppen in der Steiermark galten die sowjetischen ZwangsarbeiterInnen nunmehr als „Displaced Persons“. Sie wurden zuerst in Sammellagern zusammengefasst und dann in ihre Heimat zurückgebracht. Die Heimkehr war verbunden mit einer medizinischen, aber auch politischen Überprüfung durch die sowjetischen Behörden, was negative Folgen haben konnte, etwa Berufsverbote. Viele andere wurden für mehrere Jahre in die Rote Armee verpflichtet.
Aber auch für jene, die wie Frau Žganjar in der Steiermark geblieben sind, begann mit 1945 keineswegs ein sorgenfreies Leben. Gegenüber KORSO berichtet sie von den Vorurteilen der Bevölkerung und den Beschimpfungen, welchen sie und ihre Kinder in den Nachkriegsjahren ausgesetzt waren. „Wir wurden angespuckt und beschimpft, dass wir dreckige Russen seien und verschwinden sollten.“ Frau &142;ganjar arbeitete auch noch nach dem Krieg bei Lapp-Finze. Nachdem sich jedoch arbeitslose Kalsdorferinnen darüber beim Arbeitsamt beschwert hätten, musste sie, so Galina Žganjar, die Fabrik wieder verlassen.

Rechtsanwalt Zanger (l.) fordert längere Fristen für die Ausforschung noch unbekannter Betroffener; Regierungsbeauftragte Schaumayer (M.): Auch wer in der Landwirtschaft Zwangsarbeit leisten musste, soll eine Entschädigung erhalten; Historiker Peter Ruggenthaler (r.) führte für seine Diplomarbeit Dutzende Interviews mit ehemaligen ZwangsarbeiterInnen

Späte Entschädigung
Nachdem es in Deutschland bereits 1996 zu einer ersten „Entschädigungszahlung“ an ehemalige „OstarbeiterInnen“ von lediglich rund 7000.-- Schilling gekommen war, stellt sich nun auch Österreich seiner historischen Verantwortung. Seit Februar 2000 liegen die ersten Berichte der Historikerkommission dazu vor. Demnach leben von den in Österreich eingesetzten zivilen ZwangsarbeiterInnen noch etwa 240.000.
Die neue Bundesregierung hat angekündigt, diese Opfer entschädigen zu wollen und die ehemalige Nationalbankpräsidentin Dr. Maria Schaumayer als Beauftragte eingesetzt. Da die Überlebenden heute bereits um die 75 Jahre alt und viele von ihnen krank sind, plädiert Schaumayer dafür, „angesichts des fortgeschrittenen Alters der Überlebenden“, eine schnelle Lösung herbeizuführen. Soweit bisher erkennbar will sich Österreich hierbei der deutschen Regelung anschließen.
Für einen eigenen Weg spricht sich der Wiener Rechtsanwalt Dr. Georg Zanger aus. Er wurde vom Gericht als Kurator für alle bisher noch unbekannten ZwangsarbeiterInnen eingesetzt, die erst ausgeforscht werden müssten, um in den Genuss von Entschädigungszahlungen kommen zu können. „Es ist verrückt, dass man dafür, wie in Deutschland vorgesehen, eine Frist von nur acht Monaten einplant. Ich will daher in Österreich eine Frist von fünf Jahren einfordern“, betont Dr. Zanger im KORSO-Gespräch. Daneben setzt er sich für einen Pauschalbetrag von 105.000 öS für ZwangsarbeiterInnen ein, analog zur geplanten deutschen Regelung. Im Unterschied zu Deutschland wünscht er sich die Einbeziehung von ehemaligen ZwangsarbeiterInnen, die in der Landwirtschaft tätig waren.
Unklar bleibt jedoch weiterhin, welche Summe nun tatsächlich zur Auszahlung kommen wird und wie diese finanziert werden soll.
Joachim Hainzl


Das in diesem Beitrag wiedergegebene Gespräch mit Galina ZÜganjar führte Joachim Hainzl, die übrigen Interviews mit ehemaligen ZwangsarbeiterInnen führte Peter Ruggenthaler vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen.
Das vollständige Interview mit Frau Žganjar sowie einen ausführlichen Beitrag von Peter Ruggenthaler zur Zwangsarbeit in der steirischen Landwirtschaft finden Sie unter k-punkt im Infoserver

 


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